Dienstag, 11. November 2014

Psst! Sissi packt aus



Alles beginnt in einem nagelneuen Starbucks bei einer Tasse Karamellmacchiato und einem kleinen, warmen, lecker-schmecker Schokomuffin. Sissi ist 27, Chinesin und ziemlich kontaktfreudig. Durch ihre einjährige, „top-secret“ Beziehung zu einem Amerikaner kann sie sehr gutes Englisch, spricht flüssig und erzählt uns vor allem Spannendes aus ihrem Leben, dem Leben in China. 


Ihr Bruder ist vor kurzem zu Hause ausgezogen und hat jetzt seine eigene Wohnung. „Na und?“, fragt ihr euch, soweit ist daran nichts ungewöhnlich. Aber passt auf, die Geschichte geht weiter. Er hat sich eine extra große Wohnung genommen, in der er homosexuellen Paaren ermöglicht, sich auf ein Date zu treffen. Auf diese Idee kam er wegen seinem besten Freund, der sich schon seit Jahren ihm gegenüber dazu bekennt. Seine Eltern dürfen davon natürlich nichts wissen, Himmel, nein! Ein absolutes Tabuthema in China



Früher musste er immer „Alibi-Anrufe“ machen, erzählt sie weiter, damit die Mutter keinen Verdacht schöpfen konnte. Dann hat er stets gelogen, irgendetwas in der Richtung: „Ah Mrs. Yang wir sind jetzt im Kino, der Film ist so spannend, das können Sie sich nicht vorstellen! Wie geht es ihnen?“, während sein bester Freund in einer versteckten Ecke seinen Partner getroffen hat.

Sissi ist begeistert von der Courage ihres Bruders. Auf die Frage, wie lange die Männer in seinem Haus noch ein- und ausgehen sollen, habe er keine Antwort gehabt. Bis sein bester Freund endlich den Mut hat alles offiziell zu machen, vermutlich. 


Überhaupt sollte sich vieles in China ändern, meint Sissi. Seit neuestem wird sie von ihrer Mutter dazu gedrängt alle Blinddates und Single-Treffen der Stadt zu besuchen. Warum? Weil es langsam Zeit wird zu heiraten, wenn es nach ihren Eltern geht. Die (Zwangs-)Liebe ist ein großes Geschäft in China. Manche Partnerbörsen würden regelrecht überquellen vor Anfragen und es gibt ganze Ecken in der Stadt, an denen Zettelberge mit Handynummern den Boden unter sich begrüben. Sissi dagegen will eigentlich gar keine Ehe führen. „Das ist alles nichts für mich.“, sagt sie. Sie sei eine starke Frau und die chinesischen Männer würden sich nach der Hochzeit alle keine Mühe mehr geben, sogar manchmal mehrere Affären gleichzeitig haben. Das käme davon, weil die Ehen größtenteils nicht aus Liebe, sondern aus Pflichtgefühl geschlossen werden würden. Und tatsächlich, uns ist auch schon aufgefallen, wie unglücklich sich die meisten Pärchen gegenüber sitzen, schweigend versteht sich, und solange, bis ihre Teller leer waren, nichts anderes, als die Displays ihrer riesigen Smartphones gesehen haben. 


Einige Männer, denen wir im Club begegnet sind, hatten sogar die Dreistigkeit an den Tag gelegt, ihre Familien zu verleugnen, um sich für uns interessanter zu machen. Durch ihre Freunde, kam dann nach und nach die Wahrheit ans Licht. Meistens handelt es sich um eine mehrköpfige Familie, die zu Hause auf sie wartet, während sie sich im Nachtleben vergnügen.                                     Trotzdem sind die überstürzten, jungen Ehen immer noch im ganzen Land populär. Denn genau wie Sissi, bringen es die meisten nichts übers Herz ihre Familien zu enttäuschen und eine frühe Hochzeit abzulehnen. Tradition trifft auf Moderne. Eine moderne, westlichere Generation, die die Dinge in Frage stellt und bereit ist, sich gegen die Fesseln der Geschichte zu wehren. 


Dann schweifen wir ab, reden über dies und das. Kurz bevor wir gehen, fragt sie mich: „Sassi, stimmt es eigentlich dass ihr in Deutschland viel zu viele Frösche habt?“ Überrascht von der Frage, bleibe ich kurz stehen und überlege. „Könnte sein, viele haben wir auf jeden Fall.“, antworte ich schließlich, was sollte ich auch sonst dazu sagen? Es folgt eine Reaktion, die mich wieder an etwas erinnert, das ich vorübergehend schon fast vergessen hatte: Sissi ist noch immer eine Chinesin. Denn sie stellt glucksend klar: „Das Problem hätten wir in China nicht, wir würden sie einfach essen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen