Alles beginnt in einem nagelneuen Starbucks bei einer Tasse
Karamellmacchiato und einem kleinen, warmen, lecker-schmecker Schokomuffin.
Sissi ist 27, Chinesin und ziemlich kontaktfreudig. Durch ihre einjährige, „top-secret“
Beziehung zu einem Amerikaner kann sie sehr gutes Englisch, spricht flüssig und
erzählt uns vor allem Spannendes aus ihrem Leben, dem Leben in China.
Ihr Bruder ist vor kurzem zu Hause ausgezogen und hat jetzt
seine eigene Wohnung. „Na und?“, fragt ihr euch, soweit ist daran nichts
ungewöhnlich. Aber passt auf, die Geschichte geht weiter. Er hat sich eine
extra große Wohnung genommen, in der er homosexuellen Paaren ermöglicht, sich
auf ein Date zu treffen. Auf diese Idee kam er wegen seinem besten Freund, der
sich schon seit Jahren ihm gegenüber dazu bekennt. Seine Eltern dürfen davon natürlich
nichts wissen, Himmel, nein! Ein absolutes Tabuthema in China
Sissi ist begeistert von der Courage ihres Bruders. Auf die
Frage, wie lange die Männer in seinem Haus noch ein- und ausgehen sollen, habe
er keine Antwort gehabt. Bis sein bester Freund endlich den Mut hat alles
offiziell zu machen, vermutlich.
Überhaupt sollte sich vieles in China ändern, meint Sissi.
Seit neuestem wird sie von ihrer Mutter dazu gedrängt alle Blinddates und
Single-Treffen der Stadt zu besuchen. Warum? Weil es langsam Zeit wird zu
heiraten, wenn es nach ihren Eltern geht. Die (Zwangs-)Liebe ist ein großes
Geschäft in China. Manche Partnerbörsen würden regelrecht überquellen vor
Anfragen und es gibt ganze Ecken in der Stadt, an denen Zettelberge mit Handynummern
den Boden unter sich begrüben. Sissi dagegen will eigentlich gar keine Ehe
führen. „Das ist alles nichts für mich.“, sagt sie. Sie sei eine starke Frau
und die chinesischen Männer würden sich nach der Hochzeit alle keine Mühe mehr
geben, sogar manchmal mehrere Affären gleichzeitig haben. Das käme davon, weil
die Ehen größtenteils nicht aus Liebe, sondern aus Pflichtgefühl geschlossen
werden würden. Und tatsächlich, uns ist auch schon aufgefallen, wie unglücklich
sich die meisten Pärchen gegenüber sitzen, schweigend versteht sich, und
solange, bis ihre Teller leer waren, nichts anderes, als die Displays ihrer
riesigen Smartphones gesehen haben.
Einige Männer, denen wir im Club begegnet sind, hatten sogar
die Dreistigkeit an den Tag gelegt, ihre Familien zu verleugnen, um sich für
uns interessanter zu machen. Durch ihre Freunde, kam dann nach und nach die
Wahrheit ans Licht. Meistens handelt es sich um eine mehrköpfige Familie, die
zu Hause auf sie wartet, während sie sich im Nachtleben vergnügen. Trotzdem sind die überstürzten,
jungen Ehen immer noch im ganzen Land populär. Denn genau wie Sissi, bringen es
die meisten nichts übers Herz ihre Familien zu enttäuschen und eine
frühe Hochzeit abzulehnen. Tradition trifft auf Moderne. Eine moderne,
westlichere Generation, die die Dinge in Frage stellt und bereit ist, sich
gegen die Fesseln der Geschichte zu wehren.
Dann schweifen wir ab, reden über dies und das. Kurz bevor
wir gehen, fragt sie mich: „Sassi, stimmt es eigentlich dass ihr in Deutschland
viel zu viele Frösche habt?“ Überrascht von der Frage, bleibe ich kurz stehen
und überlege. „Könnte sein, viele haben wir auf jeden Fall.“, antworte ich
schließlich, was sollte ich auch sonst dazu sagen? Es folgt eine Reaktion, die mich
wieder an etwas erinnert, das ich vorübergehend schon fast vergessen hatte:
Sissi ist noch immer eine Chinesin. Denn sie stellt glucksend klar: „Das
Problem hätten wir in China nicht, wir würden sie einfach essen.“
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