Dienstag, 11. November 2014

Chinesen und ihre Geschichten - Teil 1 -



In den letzten zwei Monaten haben wir schon so viele Menschen kennengelernt, ihnen zugehört, mit ihnen zusammen gegessen und gefeiert, mit ihnen gelacht und getrauert, dass man beinahe ein ganzes Buch füllen könnte. Vom penetranten Modelagenten, bis zum PR-geilen Publizisten, vom einfachen Kioskbesitzer, bis zum Polizeihauptkommissar, von der lebenslustigen, westlichen Chinesin Sissi, bis zum hilfsbereiten Iren Stephen, vom chinesischen Chirurg „Doctor King“, bis hin zu feierwütigen, chinesischen Basketballstars. Die Liste ist lang. Hier sind die Menschen und ihre Geschichten: 





Es war unser fünfter Tag in der Liuzhouer Wohnung, in der Zeit, in der unsere Nerven blank lagen, wir mit Putzmittel kaufen nicht nachkamen und alles, was uns in den Weg kam verfluchten, als plötzlich ein ziemlich komisch gekleideter Chinese mit viel zu langen Fingernägeln an unsere Tür klopfte. Der Deal war einfach. Er wollte, dass Elli und ich für ihn Fotoshootings absolvieren, auf Automessen und Werbeausstellen als Deko-Objekte dastehen und einfach nur gut aussehen. Fanden wir im ersten Moment gar nicht so schlecht, leicht verdientes Geld, dachten wir. Elli gab ihm ihre Nummer und wir versprachen, uns nochmal mit ihm in Verbindung zu setzten, wenn wir uns ein paar Meinungen über seine Seriosität eingeholt hatten. Leider war diesbezüglich eine Geschichte beängstigender als die nächste. Wir erfuhren, dass wir ganze Tagesfahrten machen und oft für lau arbeiten mussten. Nicht mit uns. Wir zeigten keine Reaktion auf seine massenhaften Nachrichten und versuchten ihn schnellstmöglich loszuwerden. Dies gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, denn jede Ignoranz unsererseits schien seine Stalker-Qualitäten nur noch mehr herauszufordern, jedes höfliche Ablehnen, stachelte ihn nur noch mehr an.  Es ging so weit, dass er mehrere Male bei unseren Wohnungen auftauchte, um uns persönlich zu „überzeugen“. Wenn wir Glück hatten und wir gerade nicht zu Hause waren, schickte er uns ein Bild von der Haustür und haufenweise traurige Smileys dazu, waren wir aber da, manchmal 23 Uhr, hämmerte er wie ein Irrer an die Tür und wartete dort eine halbe Ewigkeit, bis wir aufmachten. An einem Abend sind Lena und ich sogar bewaffnet mit einer Flasche und einem Taschenmesser aus dem 4. Stock runtergestiefelt, weil Elli, mit den Nerven am Ende, keinen Ausweg mehr wusste. Glücklicherweise hatte er an diesem Tag nicht die Geduld, so lange zu warten. Nun sind schon ca. 4 Wochen vergangen, seitdem wir das letzte Mal etwas von ihm gehört haben. Ich hoffe, das bleibt auch so! Gruselig.



Die nächste Geschichte, die ich euch erzählen möchte, kommt von einem einfachen Kioskbesitzer, bei dem ich einige Male eine Flasche Cola gekauft habe. Er konnte Englisch, was uns von einem Mann seiner Profession sehr überrascht hat. Irgendwann haben wir uns dann getraut nachzuhaken und wurden mit einer rührenden Geschichte belohnt: 


Er wollte immer Englisch können, um seine Gedanken frei auszudrücken, ohne Angst haben zu müssen. Außerdem hat er versucht einige Male aus China rauszukommen und die Welt zu sehen, aber die Regierung hat ihn jedes Mal geschnappt und gezwungen zurück nach Liuzhou zu gehen. Wegen all dieser Aktionen, ist er nun aber bei der Regierung vorgemerkt und konnte wohl nichts anderes mehr werden, als Kioskbesitzer. Er war den Tränen nahe, als er wehleidig anmerkte, dass man in China noch nicht einmal „Facebook“ benutzen dürfe und man, verdammt nochmal, angeschnitten vom Rest der Welt sei. Wir wussten gar nicht, was wir sagen sollten, so nahm uns sein Schicksal mit. 


Ein paar Tage später trafen wir bei einem typischen, chinesischen Barbecue auf Rachel, einer Englischlehrerin unserer Schule, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatte. Sie erzählte, dass es ihr Traum war, nach der bestandenen Uniprüfung nach Malaysia zu gehen und die Kinder dort zu unterrichten. Nur hatte sie leider die Rechnung ohne die Männer von oben gemacht. Alles endete damit, dass ihr der falsche Prüfungstermin gesagt wurde, sie an diesem Tag erschien und ihr mitgeteilt wurde, es tue ihnen Leid, aber da sie nun zur Prüfung nicht angetreten war, könnten sie nichts mehr für sie tun. Ihre kleine Welt fiel von jetzt auf gleich zusammen.  


Weiter geht es mit „Doctor King“, dem sympathischen, übermäßig dicken Chinesen, der ein guter Freund von Paul ist und den wir so auf Pauls kleiner Abschiedsparty, vor seine Abreise nach Deutschland, kennenlernten. Er ist einer von der Sorte, der im Schultheaterstück garantiert die Rolle des bequemen Mönchen absahnen hätte können. Schmeißt ihm eine Kutte über und genießt einen Anblick wie aus dem Bilderbuch. Eine seiner Gewohnheiten ist es übrigens, sein T-Shirt hochzuziehen und sich seinen prallen Bauch zu massieren, auch gerne in aller Öffentlichkeit. Aber von seiner Körperfülle abgesehen, haben wir ihn als außerordentlich gutherzigen und lustigen Menschen kennengelernt. Pia, eine von den ATC-lern hier, hat sich vor kurzem zum Beispiel wegen ihren dauerhaften Kopfschmerzen an ihn gewandt und sofort einige Untersuchungen beim Doc persönlich genießen können, Akkupunkturbehandlungen und Wärmebestrahlung inklusive. Er kümmert sich wirklich rührend um sie! 


Außerdem hat uns dieses Wochenende alle auf ein Barbecue mit seinen Freunden eingeladen. Das, was sich nach einem kurzen Frühstück anhörte, endete in einem grandiosen Ganztagestrip in die Karstlandschaft Liuzhous, bei dem wir mitten in der Natur gegrillt haben und später die Möglichkeit bekamen, beeindruckende Tropfsteinhöhlen anzuschauen. Da war sofort vergessen, dass keiner von uns auch nur die leiseste Ahnung vom Ausmaß des Ausflugs hatte, wir alle unpassend gekleidet waren und ich es zwischenzeitlich mit der Angst zu tun bekam, wir wären Opfer einer Entführung geworden, nachdem wir zwei Stunden ohne Stopp durch die Gegend gezuckelt waren. 


 

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