Tag 5684, an dem ich von Feuerwerk und China Böllern aus dem Schlaf gerissen wurde. Ehrlich, Chinesisch Neujahr ist sowas wie ein Kindheitstraum, ohne Pause Wunderkerzen abbrennen und Raketen in die Luft abfeuern. Früher, wäre ich mit so leuchtenden Augen herumgelaufen, als hätte ich einen Vertrag mit dem Weihnachtsmann abgeschlossen. Heute, transformiert in eine chronisch veranlagte Nachteule, frage ich mich, warum um alles in der Welt ich eigentlich meine Ohrenstöpsel zu Hause gelassen hatte. Keine gute Idee. Also Leute, solltet ihr jemals zum Frühlingsfest nach China reisen, macht nicht den gleichen Fehler wie ich. Ansonsten, kann ich euch versprechen, wird es ein unvergessliches Erlebnis werden.
Eigentlich war der Plan gewesen, mit allen Deutschen zusammen
„Jiaozi“, die chinesischen Teigtaschen, selberzumachen und danach irgendetwas
zu tun, das uns eine festliche Stimmung bringen würde. Dieser Plan hatte sich
mit Allisons Einladung zum Glück geändert. Jetzt haben wir die Möglichkeit, das
größte Fest Chinas ganz traditionell zu erleben. Vorfreude.
Nach ca. einer Stunde Fahrt von Liuzhou aus, waren wir
schließlich am Haus von Allison’s Oma angekommen. Es stellte sich schnell
heraus, dass die jüngeren Generationen der Familie es zu etwas gebracht haben
mussten. Es standen mehrere blankpolierte Jeeps, SUV’s von Porsche und
Limousinen von Mercedes in der kleinen Einfahrt des Hofes. Nun feierten sie
zusammen in einem Haus Neujahr, in dem die Toilette ein einfaches Loch im Boden
war und dessen Dach beinahe drohte einzustürzen. Das Beste daran war, es störte
sie noch nicht einmal. Tradition ist Tradition. Wie schön, wenn so etwas noch
erhalten bleibt.
Wie es der Zufall wollte, war das Nachbarhaus ein Hotel, in
dem Allison für uns zwei Zimmer gebucht hatte. Was für eine Überraschung! Wir
hatten uns alle Decken mitgenommen, in der Annahme, dass wir irgendwo auf dem
Küchenboden schlafen würden. Elli war mit ihrem mobilen Handy-Ladegerät sogar
auf den Ernstfall der Ernstfälle vorbereitet. Und jetzt?, hatten wir ein riesiges,
sauberes Zimmer mit Flachbildschirm, gleich neben dem Haus, das noch nicht mal
eine Toilette besaß. Ich wusste nicht wer und warum jemand jemals in diesem
Hotel wohnen sollte, so ab vom Schuss wie es war, aber heute hatte es meine
ungeteilte Sympathie sicher.
Wir stellten unsere Sachen ab und machten uns auf, Allison
bei den Vorbereitungen zu helfen. Es war vorerst wenig zu tun. Wir wuschen
„Mati“, kleine, braune Früchte, in einem Eimer ab und entdeckten in einem
anderen, drei noch sehr lebendige Fische, die kurz vor dem Dinner erst ihren
Löffel abgeben sollten. Na lecker.
Da es noch nicht Essenszeit war, blieb uns Zeit, eine
weitere Tradition mitzuerleben. Wir machten uns zu der örtlichen
Opferungsstätte auf, um den Ahnen auch ein schönes Fest zu bereiten. Mit im Gepäck
hatten wir u.a. zwei geschlachtete Gänse in Körben, eine Menge „Himmelsgeld“
und CD’s. Das älteste Familienmitglied, Allisons Opa, leitete die Zeremonie,
während wir gespannt zusahen. Dann war es an uns, auch ein paar Räucherstäbchen
anzuzünden und uns zur Verehrung dreimal zu verbeugen. War das erledigt,
eröffneten sie eine kleine Feuerstelle, auf der wir das Himmelsgeld
verbrannten, zu guter Letzt wurden Dutzende Chinaböller im Halbkreis um die
Stätte gelegt und von dem Großvater angezündet. Dabei hielt er es nicht für
nötig, die Zündschnur zu treffen und versetzte mich in den Schock meines
Lebens, indem die ersten Böller noch in seiner Hand in die Luft zu fliegen
schienen! Ich dachte für einen Moment ernsthaft, es sei um ihn geschehen.
Wieder zurück von der kleinen Wanderung, schickte Allison
uns in einen kleinen Raum des Hotels, in dem ihr Onkel für uns eine
Teezeremonie abhielt. Dazu wurden wir mit Essen überhäuft. Sie brachten uns die
„Mati“, die wir zuvor gewaschen hatten, Kürbis- und Bananenkuchen,
„Merci“-Schokolade!, Sesamkekse, die wir aus Chengdu kannten, Erdnussplätzchen,
Pomelo, die traditionell an Neujahr verspeist werden muss, usw. Danach waren wir
so satt, dass wir bereit für das Dinner waren. Was?, fragt ihr euch. Ja, wir
wussten vorher, dass es eigentlich nur Fleisch und den Fisch geben würde, den
wir zuvor noch lebendig in dem Eimer gesehen hatten. Uns blieben also nicht viele
Alternativen, als einfach gekochte Salatblätter mit einem scharfen Knobi-Dip zu
essen. Da war es super praktisch, dass wir vorher schon fast zum Essenstisch rollen
konnten.
Mitternacht rückte immer näher und wir vertrieben uns die
Zeit damit, selber Kürbisbällchen zuzubereiten und nebenbei die 4,5 stündige
Neujahrsgala im Fernsehen anzuschauen, in die 90% aller Chinesen der Welt zu
diesem Zeitpunkt eingeschaltet hatten. Schrecklich kitschig, dafür waren die
Bällchen ein Gedicht! Dreimal dürft ihr raten, was wir nun machten? Richtig,
wir aßen wieder einmal.
Als es nach schier endlosem Warten endlich soweit war,
kletterten wir auf eines der Häuserdächer, so dass wir kilometerweite Sicht auf
die Umgebung hatten. Allison hatte uns erklärt, dass es verboten wurde in den
Städten richtige Raketen und Batterien abzufeuern, es auf dem Land aber
niemanden kümmern würde. Dort gäbe es das schönste Feuerwerk. Und sie hatte
Recht. Kurz vor Mitternacht wurde vor uns in der Hofeinfahrt eine meterlange
Kette mit Chinaböllern ausgelegt, die Minuten lang das neue Jahr einläuteten.
Nun war es Zeit für die richtigen Feuerwerkskörper. Das, was jetzt kam, hätte
ich mir in meinem Leben nicht erträumen können. Es war das schönste Feuerwerk,
das ich jemals gesehen hatte, genauso lang und groß, wie man es bei uns von den
Gesteuerten auf Volksfesten gewohnt ist, bei dem Tausende zuschauen. Hier waren
es nur wir. Wir und das Feuerwerk, das so nah zu sein schien, unklar, ob
Fiktion oder Wirklichkeit.
Nach diesem „Feuerwerkt der Gefühle“, wortwörtlich, stiegen wir wieder vom Häuserdach herab, um jedem „Xinnian Kuaile!“ (Frohes chinesisches
Neujahr!) zu wünschen. Zu unserer
Überraschung bekamen auch wir von den Familienmitgliedern „Hongbao“ zugesteckt.
Es ist in China Tradition, dass die älteren, arbeitenden Erwachsenen den
Kindern rote Briefumschläge mit Geld darin schenkten. Wir bekamen auch einige
davon, aber da wir wussten, was sich darin befand, lehnten wir sie ernst ein
wenig zu empört ab. Dann kam Allison, um einzuschreiten und uns zu erklären,
dass es sehr unhöflich sei, sie nicht anzunehmen. Na gut, dachten wir uns. Wir beschlossen
uns dankbar zu zeigen, sie einfach anzunehmen und keinen, weiteren Aufstand zu
machen.
Was für ein Tag! Es hat sich zu genau so einem Abend
entwickelt, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Nicht, dass es schon genug
war, dass uns die Familie schon zu ihrem Familienfest eingeladen und ein Hotel
bezahlt hat. Nein, da bekommen wir auch noch Geld geschenkt und dürfen es nicht
einmal ablehnen. Das ist wahre, chinesische Gastfreundlichkeit, wie man sie in
Deutschland niemals erfahren würde. Das ist etwas, was man ihnen ganz hoch
anrechnen muss.
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