Dienstag, 24. Februar 2015

Frühlingsfest AKA Chinesisch Neujahr


Tag 5684, an dem ich von Feuerwerk und China Böllern aus dem Schlaf gerissen wurde. Ehrlich, Chinesisch Neujahr ist sowas wie ein Kindheitstraum, ohne Pause Wunderkerzen abbrennen und Raketen in die Luft abfeuern. Früher, wäre ich mit so leuchtenden Augen herumgelaufen, als hätte ich einen Vertrag mit dem Weihnachtsmann abgeschlossen. Heute, transformiert in eine chronisch veranlagte Nachteule, frage ich mich, warum um alles in der Welt ich eigentlich meine Ohrenstöpsel zu Hause gelassen hatte. Keine gute Idee. Also Leute, solltet ihr jemals zum Frühlingsfest nach China reisen, macht nicht den gleichen Fehler wie ich. Ansonsten, kann ich euch versprechen, wird es ein unvergessliches Erlebnis werden.


 Wir sind ein wenig aufgeregt, denn heute ist Silvester in China. Allison, eine chinesische Freundin, hat uns eingeladen, das Fest zusammen mit ihrer Familie auf dem Land zu feiern. Es ist in China Tradition, dass alle Familienangehörigen, egal wo sich gerade befinden, nach Hause zu den ältesten Mitgliedern zurückkehren. In unserem Fall waren das die Großeltern von Allison, die schon sehr, sehr alt und zerbrechlich waren. Trotzdem freuten sie sich sehr über unsere Zusage. 
 

Eigentlich war der Plan gewesen, mit allen Deutschen zusammen „Jiaozi“, die chinesischen Teigtaschen, selberzumachen und danach irgendetwas zu tun, das uns eine festliche Stimmung bringen würde. Dieser Plan hatte sich mit Allisons Einladung zum Glück geändert. Jetzt haben wir die Möglichkeit, das größte Fest Chinas ganz traditionell zu erleben. Vorfreude. 


Nach ca. einer Stunde Fahrt von Liuzhou aus, waren wir schließlich am Haus von Allison’s Oma angekommen. Es stellte sich schnell heraus, dass die jüngeren Generationen der Familie es zu etwas gebracht haben mussten. Es standen mehrere blankpolierte Jeeps, SUV’s von Porsche und Limousinen von Mercedes in der kleinen Einfahrt des Hofes. Nun feierten sie zusammen in einem Haus Neujahr, in dem die Toilette ein einfaches Loch im Boden war und dessen Dach beinahe drohte einzustürzen. Das Beste daran war, es störte sie noch nicht einmal. Tradition ist Tradition. Wie schön, wenn so etwas noch erhalten bleibt.




Wie es der Zufall wollte, war das Nachbarhaus ein Hotel, in dem Allison für uns zwei Zimmer gebucht hatte. Was für eine Überraschung! Wir hatten uns alle Decken mitgenommen, in der Annahme, dass wir irgendwo auf dem Küchenboden schlafen würden. Elli war mit ihrem mobilen Handy-Ladegerät sogar auf den Ernstfall der Ernstfälle vorbereitet. Und jetzt?, hatten wir ein riesiges, sauberes Zimmer mit Flachbildschirm, gleich neben dem Haus, das noch nicht mal eine Toilette besaß. Ich wusste nicht wer und warum jemand jemals in diesem Hotel wohnen sollte, so ab vom Schuss wie es war, aber heute hatte es meine ungeteilte Sympathie sicher. 


Wir stellten unsere Sachen ab und machten uns auf, Allison bei den Vorbereitungen zu helfen. Es war vorerst wenig zu tun. Wir wuschen „Mati“, kleine, braune Früchte, in einem Eimer ab und entdeckten in einem anderen, drei noch sehr lebendige Fische, die kurz vor dem Dinner erst ihren Löffel abgeben sollten. Na lecker. 


Da es noch nicht Essenszeit war, blieb uns Zeit, eine weitere Tradition mitzuerleben. Wir machten uns zu der örtlichen Opferungsstätte auf, um den Ahnen auch ein schönes Fest zu bereiten. Mit im Gepäck hatten wir u.a. zwei geschlachtete Gänse in Körben, eine Menge „Himmelsgeld“ und CD’s. Das älteste Familienmitglied, Allisons Opa, leitete die Zeremonie, während wir gespannt zusahen. Dann war es an uns, auch ein paar Räucherstäbchen anzuzünden und uns zur Verehrung dreimal zu verbeugen. War das erledigt, eröffneten sie eine kleine Feuerstelle, auf der wir das Himmelsgeld verbrannten, zu guter Letzt wurden Dutzende Chinaböller im Halbkreis um die Stätte gelegt und von dem Großvater angezündet. Dabei hielt er es nicht für nötig, die Zündschnur zu treffen und versetzte mich in den Schock meines Lebens, indem die ersten Böller noch in seiner Hand in die Luft zu fliegen schienen! Ich dachte für einen Moment ernsthaft, es sei um ihn geschehen. 



Wieder zurück von der kleinen Wanderung, schickte Allison uns in einen kleinen Raum des Hotels, in dem ihr Onkel für uns eine Teezeremonie abhielt. Dazu wurden wir mit Essen überhäuft. Sie brachten uns die „Mati“, die wir zuvor gewaschen hatten, Kürbis- und Bananenkuchen, „Merci“-Schokolade!, Sesamkekse, die wir aus Chengdu kannten, Erdnussplätzchen, Pomelo, die traditionell an Neujahr verspeist werden muss, usw. Danach waren wir so satt, dass wir bereit für das Dinner waren. Was?, fragt ihr euch. Ja, wir wussten vorher, dass es eigentlich nur Fleisch und den Fisch geben würde, den wir zuvor noch lebendig in dem Eimer gesehen hatten. Uns blieben also nicht viele Alternativen, als einfach gekochte Salatblätter mit einem scharfen Knobi-Dip zu essen. Da war es super praktisch, dass wir vorher schon fast zum Essenstisch rollen konnten. 



Mitternacht rückte immer näher und wir vertrieben uns die Zeit damit, selber Kürbisbällchen zuzubereiten und nebenbei die 4,5 stündige Neujahrsgala im Fernsehen anzuschauen, in die 90% aller Chinesen der Welt zu diesem Zeitpunkt eingeschaltet hatten. Schrecklich kitschig, dafür waren die Bällchen ein Gedicht! Dreimal dürft ihr raten, was wir nun machten? Richtig, wir aßen wieder einmal.



Als es nach schier endlosem Warten endlich soweit war, kletterten wir auf eines der Häuserdächer, so dass wir kilometerweite Sicht auf die Umgebung hatten. Allison hatte uns erklärt, dass es verboten wurde in den Städten richtige Raketen und Batterien abzufeuern, es auf dem Land aber niemanden kümmern würde. Dort gäbe es das schönste Feuerwerk. Und sie hatte Recht. Kurz vor Mitternacht wurde vor uns in der Hofeinfahrt eine meterlange Kette mit Chinaböllern ausgelegt, die Minuten lang das neue Jahr einläuteten. Nun war es Zeit für die richtigen Feuerwerkskörper. Das, was jetzt kam, hätte ich mir in meinem Leben nicht erträumen können. Es war das schönste Feuerwerk, das ich jemals gesehen hatte, genauso lang und groß, wie man es bei uns von den Gesteuerten auf Volksfesten gewohnt ist, bei dem Tausende zuschauen. Hier waren es nur wir. Wir und das Feuerwerk, das so nah zu sein schien, unklar, ob Fiktion oder Wirklichkeit.


Nach diesem „Feuerwerkt der Gefühle“, wortwörtlich, stiegen wir wieder vom Häuserdach herab, um jedem „Xinnian Kuaile!“ (Frohes chinesisches Neujahr!) zu wünschen.  Zu unserer Überraschung bekamen auch wir von den Familienmitgliedern „Hongbao“ zugesteckt. Es ist in China Tradition, dass die älteren, arbeitenden Erwachsenen den Kindern rote Briefumschläge mit Geld darin schenkten. Wir bekamen auch einige davon, aber da wir wussten, was sich darin befand, lehnten wir sie ernst ein wenig zu empört ab. Dann kam Allison, um einzuschreiten und uns zu erklären, dass es sehr unhöflich sei, sie nicht anzunehmen. Na gut, dachten wir uns. Wir beschlossen uns dankbar zu zeigen, sie einfach anzunehmen und keinen, weiteren Aufstand zu machen.

Was für ein Tag! Es hat sich zu genau so einem Abend entwickelt, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Nicht, dass es schon genug war, dass uns die Familie schon zu ihrem Familienfest eingeladen und ein Hotel bezahlt hat. Nein, da bekommen wir auch noch Geld geschenkt und dürfen es nicht einmal ablehnen. Das ist wahre, chinesische Gastfreundlichkeit, wie man sie in Deutschland niemals erfahren würde. Das ist etwas, was man ihnen ganz hoch anrechnen muss.  



PS: Es ist Pflicht auf den „Hongbao“ zu schlafen und sich mindestens einen Tag nicht zu duschen, damit ihr das Glück nicht wieder von euch abwascht. 


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